Liv Stromquist
ICH FUEHLS NICHTS
Liv Strömquists Buch „Ich fühl‘s nicht“ ist ein Plädoyer für eine von den Zwängen der Konsumgesellschaft befreite Liebe. Eine neue Gelegenheit für Strömquist, verliebte Verhaltensweisen im Zeitalter des Spätkapitalismus zu analysieren und sie zu hinterfragen: Wie können die Impulse des Herzens gemeistert werden? Was tun bei Liebeskummer? Warum enden Liebesgeschichten im Allgemeinen schlecht ...? Und warum flattern manche Leute unentwegt, ohne jemals zu landen?
Die Suche nach der Ur-Oper“ von das Helmi
Von und mit Florian Loycke, Emir Tebatebai, Brian Morrow, Jakob Dobers, Nolundi Tschudi, Louise Pons.
Bühne und Gestaltung Student:innen der Bühnenbildklasse der UdK unter der Leitung von Prof. Janina Audick, Outside Eye Kara Schröder,
Künstlerische Mitarbeit Felix Loycke,
Produktion Judith König und ehrliche Arbeit
Presse - Theater Der Zeit
Auftritt
From Helmi with Love
von Theresa Schütz
Assoziationen: Musiktheater Freie Szene Performance Puppen-, Figuren- & Objekttheater Berlin Theaterkritiken Das Helmi Ballhaus Ost
Zu Besuch im Ballhaus Ost, der langjährigen Heimspielstätte des Berliner Puppenspielkollektivs Das Helmi um die beiden Brüder und Schaumpuppenbastler Florian und Felix Loycke, Musiker Jakob Dobers und Performer Emir Tebatebai. Das Publikum versammelt sich auf der Bühnenfläche mit umgekehrter Blickrichtung auf die unbestuhlte Podesterie. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Konzertbesuch mit Freunden. Ungezwungen, unaufgeregt. Vermutlich auch, weil die Premiere keine klassische Premiere ist, sondern der Auftaktabend einer zehnteiligen Reihe mit dem ambitionierten kreativen Vorhaben, sich in monatlichen Folgen mit verschiedenen Gästen und Publikum auf die „Suche nach der Ur-Oper“ zu begeben. Oper als die Kunstform bürgerlicher E-Kultur gilt bekanntlich auch als „Kraftwerk“ für die Produktion tragischer Liebesgeschichten, gepaart mit der Theatralität großer Gefühle. Keine schlechte Idee also, sich künstlerisch mit Darstellungs-, Präsentations- und Produktionsweisen gesellschaftlichen Fühlens auseinanderzusetzen – zumal in einer krisengebeutelten Zeit, in der auf allen Kanälen Emotionen wie Wut, Hass, Neid oder Angst beständig fabriziert, zirkuliert und reproduziert werden – sei es zur politischen Mobilisierung, zur rationalismuskritischen Legitimierung von Standpunkten oder im Streit um Deutungs- und Diskurshoheit.
Titel- und Materialgeberin der Auftaktperformance, die zwischen Puppenspiel, Musiktheater, Performance und Improvisation angesiedelt ist, ist die Graphic Novel „Ich fühl’s nicht“ der schwedischen Erfolgsautorin Liv Strömquist. Hierbei handelt es sich – wie auch schon bei ihren Vorläufern „Vom Ursprung der Liebe“ und „I’m every woman“ – um einen feministischen Diskurs-Comic. Sowohl Strömquist als auch die Helmis steigen mit einer Leonardo DiCaprio-Karikatur bzw. -Schaumstoffpuppe ins Thema ein: Dessen Beziehungsbiografie mit einer Reihe verschiedener, vermeintlich austauschbarer Models dient als Beispiel für die pessimistische Gegenwartsdiagnose, dass das intensiv erlebte Gefühl, sich zu verlieben immer seltener werde. „Ich fühl’s nicht“, seufzt also die Leo-Puppe, synchronisiert und gehalten von Emir Tebatebai, durch einen großen Papp-TV ins Publikum. Zur Begründung dieser Diagnose dienen Strömquist wie Helmis Philosoph Byung-Chul Han und Emotionssoziologin Eva Illouz. Beide haben sich in den 2010er Jahren in Schriften wie „Agonie des Eros“ oder „Warum Liebe weh tut“ kritisch mit Liebe und Liebesbeziehungen im Spätkapitalismus auseinandergesetzt. Ihre Hypothesen, kurz zusammengefasst: Im Spätkapitalismus ließe sich zum einen eine „Nazissifizierung des Selbst“ beobachten, die mit dem „Verschwinden des Anderen“ einhergehe (Han). An die Stelle des Begehrens nach dem Anderen (in seiner Andersheit) trete die (narzisstische) Orientierung nach dem Gleichen. Zum anderen würde die Partnerwahl auf dem Markt der Wahlmöglichkeiten zunehmend kommodifiziert und Kriterien rationaler Entscheidung unterworfen (Illouz). Dies impliziert, sich zum Beispiel gezielt in jemanden nicht zu verlieben, weil er oder sie raucht.
Mit Blick auf neuere intersektionale Publikationen zu Liebe und Beziehungen wie jene von bell hooks, Şeyda Kurt oder Josephine Apraku erscheinen die Perspektiven von Han und Illouz schon wie aus einer anderen Zeit, ja fast etwas altbacken. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich in der Inszenierung den Eindruck hatte, die Positionen der beiden Wissenschaftler:innen – vorgebracht von ihren kleinen, wiedererkennbaren Schaumpuppenebenbildern – seien stets mit einem ironischen Kommentar versehen oder auch ein stückweit belächelt worden.
Für eine Zeitreise zu Liebeskonzepten aus dem 19. und 20. Jahrhundert wechselt das Publikum gemeinsam mit den Performer:innen auf den Balkon im Obergeschoss des Ballhaus Ost. Dort haben Studierende der Bühnenbildklasse von Janina Audick an der UdK Berlin eine pink ausgeleuchtete „Versuchsstation“ ausgestattet, in der zwei überdimensionierte Schlangen die Gäste erst necken, um ihnen dann ihren Körper als Sitzfläche anzubieten.
Der zweite Teil widmet sich nicht nur zwei historischen, wenig bekannten Frauenfiguren (Hilda Doolittle und Caroline Lamb), sondern liefert gewissermaßen auch die Antithese zu Han und Illouz. Mit Hilda, puppifiziert als fragil-graziler Luftgeist, wird sich nostalgisch an Liebe auf den ersten Blick als „übernatürliches Ereignis“ wie aus einer „anderen Dimension“ erinnert; und mit Caroline Lamb (performt von Iris Christidi) tritt das Motiv eines affirmativen „Kults“ um die eigenen (unerfüllten) Gefühle auf. Strömquist wie auch Helmis scheinen mit diesen (als feministisch gerahmten) Liebesauffassungen stärker zu sympathisieren als mit jenen neoliberalen, in denen Liebe zum Projekt wird, oder von Frauen verlangt werde, Distanz vorzuspielen, um überhaupt als interessant befunden zu werden.
„Ich fühl’s nicht“ beibt als szenische Übertragung der Graphic Novel in die Helmi’sche Theater-Schaumstoffwelt sehr nah an der Vorlage. Dabei haftet allen Szenen – wie auch Puppen – noch etwas Unfertiges an, und verweist damit auch auf den prozessualen Charakter des Gesamtprojekts. Dass alles etwas durcheinander geht an diesem Abend, und – wie im Comic auch – durchaus auch arg verallgemeinert oder for the argument’s sake nochmal die nicht überwundene Binarität von Rationalität versus Emotionalität aufs Tableau gebracht wird...: geschenkt. Die Liebe zur Sache, zum Projekt, den Puppen und dem Publikum wird an diesem Abend allemal spürbar. So darf man gespannt sein, wie sich dieses Projekt in den nächsten Wochen noch zu einer Ur-Oper auswächst. Und ob es dann immer noch heißt: Ich fühl’s nicht.
Erschienen am 9.2.2023